Katholische Kirche :
Im Land der Mutlosen

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Ein Segen
Missbrauchsskandale, Mitgliederschwund, Vertrauensverlust: Die deutschen Katholiken kennen alle Fehler ihres Bischofs, aber das „Ave Maria“ beherrschen sie nicht mehr. Die Kirche steht auf wackeligen Beinen in der deutschen Glaubenslandschaft.

Klingelt das Telefon im Kloster. Anruf aus dem Heiligen Land. Wir haben das Grab von Jesus gefunden, und er lag drin! Darauf der Pater: Den gab's wirklich?

Ein Witz, der zum Kern führt. Zu dem, was man heute alles nicht mehr voraussetzen kann. Dass es ihn gab, diesen Jesus aus Nazareth. Dass er die am besten erforschte Figur der Weltgeschichte ist. Diese und noch viel mehr Gewissheiten sind denjenigen abhandengekommen, die sich zweitausend Jahre nach seinem Tod in seinem Namen versammeln.

Das öffentliche Bild der katholischen Kirche in Deutschland wird geprägt von prügelnden Klosterbrüdern, einem alkoholkranken Bischof, pädophilen und homosexuellen Priestern. Die Amtsträger mauern entweder oder rechnen öffentlich miteinander ab. Und über allem thront der vermeintlich distanzierte Papst aus Deutschland, den in diesen Strudel hineinzuziehen nicht ganz gelungen ist. An Versuchen hat es nicht gefehlt. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte am 15. März auf Seite eins „Benedikt XVI. schweigt“. In einer „Zeit maßloser Polemik“ (Benedikt XVI.) kam dann trotzdem eine Erklärung; aber auch sie linderte nicht die Wut auf die Institution. Die Rolle des Papstes in der Kirche wird dabei mit Begeisterung fehlinterpretiert - als wäre er ein Fußballtrainer oder Vorstandsvorsitzender.

Wegweisend? Eine der Sandsteinfiguren der Dresdner Hofkirche schaut auf Passanten
Wegweisend? Eine der Sandsteinfiguren der Dresdner Hofkirche schaut auf PassantenAPN
Sie haben Angst

Solidarität mit dem Papst ist besonders bei deutschen Bischöfen keine Paradedisziplin. Einer, der sich öffentlich mit Benedikt solidarisiert, ist der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. „Papst Benedikt steht für einen Glauben, der inhaltlich in der Lage ist, den Diskurs mit dieser Welt zu führen - für das gewinnnende Profil einer Kirche mit Tiefe und Weite.“ Es bleibt für den Limburger Bischof ein Rätsel, warum sich ausgerechnet die als Reiseweltmeister erprobten Deutschen so schwer mit einer globalen Kirche tun. „Überall auf der Welt erfährt man sich als katholischer Christ zuhause, wenn man die Heilige Messe besucht. Auch wenn wir die Sprache nicht verstehen, hilft uns der Ritus, zu folgen.“ Der „größte Schatz“ seines Bistums seien die muttersprachlichen Gemeinden - Katholiken aus sechsundneunzig Nationen. „Diese Vielfalt in der Einheit hilft uns, Katholizität zu begreifen.“

Dabei hilft manchmal ein Blick von außen. Andrew Ngah stammt aus Kamerun, ist seit neun Jahren Priester und studiert seit zwei Jahren im Seminar von St. Georgen in Frankfurt. In seiner Heimat ist Deutschland als ehemalige Kolonialmacht nicht gut angesehen. „Deutsch“ benutzt man als Synonym für harte Arbeit und schlechte Bezahlung. Deutschland sei nicht sein Traumziel gewesen, erzählt der temperamentvolle Priester. Aber sein Aufenthalt gebe ihm die Gelegenheit, Vorurteile zu korrigieren; seit zwei Jahren kommt er viel in Mitteldeutschland herum, als Vertreter für urlaubende oder kranke Pfarrer. Sein erster Eindruck: „Tolle Kirchen, aber keine Leute drin.“ Sein zweiter Eindruck, wenn er auf Bahnreisen in die versteinerten Mienen der Mitreisenden schaut. „Sie haben Angst, Angst vor dem Unbekannten.“ Er könne das nachvollziehen auf Grund der deutschen Geschichte, dass es hier einen Sonderweg gegeben habe. Dass man nach Hitler ein Problem mit Befehlen habe.

Ein Platzhalter Gottes

Ein schwaches Drittel der Deutschen ist heute noch katholisch, fünfundzwanzig Millionen Menschen. Sie bekennen sich zu einer Institution, die sich im Lauf ihrer zweitausendjährigen Geschichte ein labyrinthisches Rechte- und Pflichtenheft zugelegt hat. Längst hat sich in der religiösen Landschaft Beliebigkeit breitgemacht. Die Abgrenzung zu den nicht-christlichen Religionen weicht auf, Patchwork-Religionen entstehen.

In den Großstädten haben die Gotteshäuser die Abwehrschlacht gegen die Konsumtempel verloren. Aber ausgerechnet in der Bankenstadt Frankfurt registriert man viele erwachsene Taufbewerber, nicht wenige aus dem Bankenumfeld. Der dafür zuständige Hirte, der Limburger Bischof, denkt darüber nach, in der Mittagspause Messen zu feiern. Dafür gebe es Beispiele, wie die Pfarrkirche Old St. Patrick's in Downtown Chicago, in der jeden Tag zur Mittagszeit eine heilige Messe gefeiert wird. „Viele Geschäftsleute nutzen die Mittagspause, um daran teilzunehmen. Kirche zeigt hier buchstäblich, wie sie sich in den ,passageren Strom der Stadt' hineinstellt.“ Der Frankfurter Dom habe eine ähnliche Lage. „Im Alltag der Bankenmetropole ist er ein Platzhalter Gottes.“

Kirche als religiöse Dienstleistungsgesellschaft

Dem Ritualen des gelebten Glaubens wollen sich immer weniger Deutsche unterziehen. Die Mitgliederzahlen sinken beständig, 280 000 Austritte verzeichnen die beiden großen christlichen Bekenntnisse Jahr für Jahr. Kirchen werden verkauft und profaniert; man hat sie in vielen Fällen zu groß gebaut, in den optimistischen Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Heute erzwingt der Priestermangel die Schaffung immer größerer Seelsorgegebiete, wie das nun heißt. In solchen Großpfarreien werden die Priester zu Pendlern, unterstützt von Seelsorgeteams.

Vierzig Jahre liegt der Aufbruch zurück, die Achtundsechziger gehen demnächst in Pension. Sie haben ihren Kurs auf die Bedürfnisse der Gesellschaft abgestimmt, genützt hat auch das nichts. Nun macht sich angesichts einer verdörrenden Glaubenslandschaft Desillusionierung breit. Believing without belonging: Kirche wird heute gern als religiöse Dienstleistungsgesellschaft genommen, Caritas und Diakonie genießen ein höheres Ansehen als die Amtskirchen. Aktive Gemeindearbeit ist schon weniger beliebt, und so macht das Unwort von der „Verkernung“ die Runde: ein schrumpfender Kern von teilweise extrem engagierten Aktiven bestimmt das Milieu und die Atmosphäre in der Gemeinde.

Nur noch drei von zehn Sozialmilieus

In Deutschland habe er oft das Gefühl, die Gemeinde wolle im Stil einer Sonntagskirche unter sich bleiben, sagt Pater Andrew Ngah. Wir hier, da draußen die Welt. Katholische Eliten in der Diaspora, die geheimbündlerische Züge an den Tag legen. Er erzählt von einem jungen Mann, der aus beruflichen Gründen von München nach Offenbach gezogen sei, dort regelmäßig die Messe besuchte, aber monatelang von niemandem angesprochen wurde. Eine solche Haltung sei nicht katholisch, katholisch meine universal: „Man muss es einfach so machen wie die internationalen Gemeinden, die im Gottesdienst fragen: Wer ist heute neu hier? So etwas wie ,Die deutsche Kirche' gibt es nicht.“

Mit dem Erlahmen der gesellschaftlicher Bindekraft erlahmte auch die Anziehungskraft der Kirchen. Die vor fünf Jahren von der Heidelberger Firma Sinus-Sociovision vorgelegte Studie warf ein trübes Licht auf den Zustand der Kirche - und legte marktwirtschaftliche Schlussfolgerungen nahe. Ausbau der Kundenorientierung: Wohin ist er abgewandert, wie kann ich ihn wieder einfangen? Die Kirche erreicht von zehn Sozialmilieus nur noch drei: Konservative, Traditionsverwurzelte und Teile der bürgerlichen Mitte. Keine Chance bei Hedonisten, Konsumidealisten oder sogenannten „modernen Performern“. Die haben am Sonntag andere Ziele. Aber Tebartz-van Elst ist überzeugt: „Mountainbiken mag für fünf Sonntage interessant sein. Aber es stillt nicht die Sehnsucht nach Sinn im Leben.“

Zusammenlegen, streichen, kürzen

Wer heute in die Kirche geht, tut es meist aus Überzeugung, weniger aus Tradition wie es in den Volkskirchen lange üblich war. „Die Volkskirche des neunzehnten Jahrhunderts reichte mit ihrer spezifischen Milieubildung tief in den Lebenszusammenhang der Menschen hinein - diese Nähe werden wir unter veränderten Bedingungen neu entwickeln müssen“, sagt Tebartz-van Elst. Im Bistum Limburg steht der Fünfzigjährige vor der gleichen Aufgabe wie alle deutschen Bischöfe. Er muss Großpfarreien schaffen, zusammenlegen, streichen, kürzen. Seit zwei Jahren erkundet er mit sechs Gemeinden, wie diese Gestalt künftig aussehen könnte. Gedacht ist auch daran, dass mehrere jüngere Priester unter einem Dach leben und sich eine Großgemeinde aufteilen. „Man darf die Frage aber nicht allein als Strukturfrage behandeln, man muss sie zuerst auch geistlich begreifen.“

Seelsorge, Krankenbesuche, Sterbebegleitung - das war einmal das Kerngeschäft der Kirche. In weiten Gebieten ist davon wenig geblieben. Geistliche sind jetzt Manager. Ältere Priester sagen trotzig: Dafür bin ich nicht Pfarrer geworden. So erging es auch Maximilian Pinzl, der zuletzt dem früheren Dekanat Burghausen in der Diözese Passau vorstand. Im ländlichen Bayern gibt es noch Reste von Volksfrömmigkeit, Menschen, die im Gemeinschaftserlebnis einer Wallfahrt Spiritualität suchen. Nach vierzig Jahren im Priesteramt trat Monsignore Pinzl im Alter von sechsundsechzig Jahren früher als geplant in den Ruhestand. Begründung: Es sei gesundheitlich nicht mehr in der Lage, seinen Management-Job zu machen. Das Bistum hatte seine Bitte, einen Verwaltungsfachmann für Finanzen und Baumaßnahmen einstellen zu dürfen, abgelehnt.

Die vornehmste Aufgabe des Priesters

Auch er denkt als Ruheständler an den großen Aufbruch nach dem Vatikanum zurück. Weder in Gestus noch Habitus ein Achtundsechziger, weiß Max Pinzl, dass eine nachwachsende Generation von Seminaristen Leute seines Alters als „Krawattenpriester“ verachtet. Sie hätten sich zu stark an weltliche Vorgaben angepasst, auch durch Tragen eines Straßenanzugs. „Wir sollen die Kirche abgewirtschaftet haben“, sagt Pinzl. Der Limburger Bischof will lieber nach vorne schauen, sich nicht mit den Achtundsechzigern aufhalten. „Wer heute Theologie studiert, hat auf dem Weg dieser Entscheidung schon manchen säkularen Gegenwind von außen und auch manche kirchenkritische Infragestellung von innen erleben müssen. Es zeichnet Priesteramtskandidaten aus, dass sie entschiedener nach der Substanz des christlich-kirchlichen Glaubens fragen: Sie wollen ,Schwarzbrot'.“ Genau das ist das Problem des Nachwuchses nach Ansicht von Max Pinzl: Der übersehe vor lauter Strenge, was die vornehmste Aufgabe des Priesters sei, nämlich „anteilnehmende Menschlichkeit“.

Protestantisierung und Ökumenismus: Im Land der Reformation ist der Einfluss der Protestanten besonders groß; wirklich vergleichbar auf institutioneller Ebene sind Katholiken und Protestanten indes nicht, wie Tebartz-van Elst mit Nachdruck erklärt: „Die katholische Kirche ist universale Weltkirche, die sich in Ortskirchen darstellt. Evangelischerseits gibt es das Verständnis einer Landeskirche mit starkem Ortsbezug.“ Heißt für die Katholiken: Der Ort darf sich nicht selbst genügen. Das tut er aber oft genug, häufig den Priester eingeschlossen. Da wird die sonntägliche Predigt genutzt, um die eigenen Glaubenszweifel zu thematisieren - anstatt das Evangelium zu deuten. Und wie aufgeweicht und nachlässig mit der Liturgie umgegangen wird: Da wird keine Brücke gebaut für die nachwachsenden Generationen, die gar nicht wissen, was da geschieht, weil es ihnen niemand erklärt.

Bäume und Boote statt Brot und Wein

Früher konnte man das voraussetzen, jetzt brauchen Eltern selbst Anleitung, das berichtet auch Max Pinzl. Erstkommunion- oder Firmvorbereitung sind zu psychosozialen Gruppenstunden umgestaltet; die Hinführung zum Sakrament unterbleibt. Bischof Tebartz-van Elst sagt: „Die Primärsymbole der Liturgiefeier sind Brot und Wein, die zu Christi Leib und Blut werden. In diesem Horizont ist so manche Praxis der Erstkommunionfeiern sehr kritisch zu sehen. Wo Sekundär- und Tertiärsymbole wie Bäume und Boote in die Altarräume geschleppt werden, muss es nicht verwundern, wenn Kinder nicht zum Wesen der sakramentalen Begegnung mit Jesus Christus finden.“

Überall fehlt es an Wissen, aber wenn Andrew Ngah mit den Laien zum Gotteshaus fährt, wird er über die Lage der Kirche informiert. „Deutsche Katholiken berichten zwei Stunden über die Fehler ihres Bischofs, aber das ,Ave Maria' können sie nicht. Doch nach der Messe bedanken sie sich, wenn ich in der Predigt über den Glauben gesprochen habe.“

Was für eine Frage!

Was also ist Liturgie, wieso gibt es ein Kirchenrecht? Das wäre eigentlich Gegenstand des Religionsunterrichts. Es ist ein einzigartiges Privileg, konfessionellen Unterricht im Rahmen eines Staatsschulbetriebes anzubieten. Aber das Instrument greift schon lange nicht mehr. Monsignore Pinzl sagt ganz unverblümt: „Religionsunterricht ist heute vielfach Afrikakunde, Buddhismus und Hartz IV.“ Der Limburger Bischof sieht es ähnlich. „Wenn wir immer weiter vor der selbst in den Religionsunterricht hineindrängenden Säkularisierung zurückweichen und der Mut fehlt, unseren Glauben beim Namen zu nennen, bleiben wir am Ende den uns anvertrauten Schülern die Antwort des Glaubens schuldig“, sagt er.

In einer katholischen Schule gehört für ihn die Eucharistiefeier zum Proprium. Er begreife „Schule insofern als einen missionarischen Ort, weil Kirche dort mit allen Jugendlichen in Berührung kommt“. Der Staat wisse, dass eine Wertevermittlung nur in der Rückbindung an eine Gemeinschaft, die diese Werte als Überzeugung habe, möglich sei, davon ist Bischof Tebartz-van Elst überzeugt. Mit Blick auf die ins Stocken geratene Ökumene wünscht er sich, die Christen beider Konfessionen mögen ein „klareres Bild über ihr jeweiliges Kirchenverständnis“ gewinnen.

Bis es so weit ist, erzählt Andrew Ngah symptomatische Geschichten aus dem deutschen Kirchenalltag - von der Küsterin, die ihn in der Sakristei mit den Worten begrüßt habe: Ich bin hier die Priesterin. Von der immer wiederkehrenden Frage, welche Art von Gottesdienst er zu halten gedenke? „Ich sage immer: die römisch-katholische Liturgie. Punkt.“

Wo die kirchlichen Eliten kneifen

Für den Schriftsteller Martin Mosebach steht fest: Hier ist ein Großexperiment gescheitert. Die „Aggiornamento-Kirche“, die sich anpassende Kirche, habe Generationen den Glauben gekostet. Tebartz-van Elst stützt die These, insofern er einräumt: „Liturgie ist nicht Event. Gott handelt an uns. Aller Aktionismus in der Liturgie hat augenscheinlich nicht zu einer Vertiefung des Glaubens beigetragen.“

Die kirchlichen Eliten seien ratlos, schreibt der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf. Sie betonten ihre Pastoralmacht und episkopale Autorität, weil sie mit den Transformationsprozessen nicht Schritt halten könnten. Und sie kniffen bei der Sexualmoral wie bei der Zölibatsfrage. Gerade bei diesem letzten Punkt ist Schützenhilfe billig zu haben, dabei wird gern übersehen, dass ein Priester diesen Schritt freiwillig, nach intensiver Prüfung tut.

Eine christliche Erkennbarkeit

Es stimme schon, die Kirche habe zweitausend Jahre Erfahrung darin, Priester zu disziplinieren, sagt Andrew Ngah, „aber das geht nur, weil der Priester mit der Kirche verheiratet ist und dem Bischof folgt.“ Bei Laien könne man diesen Gehorsam nicht einfordern. Dabei ist die Vorstellung, eine Ehe-Erlaubnis würde automatisch zu einer Priesterschwemme führen, nebulös. Tebartz-van Elst sagt: „Die nachlassende Zahl der geistlichen Berufungen spiegelt zuerst einen Glaubensschwund in unserer Gesellschaft wider. Wer heute Priester werden möchte, erlebt nicht selten in seinem familiären Umfeld und in seiner Heimatgemeinde wenig Identifikation und Unterstützung.“

Wenn sich auf interreligiösen Veranstaltungen Juden, Muslime und Christen treffen, sind es meist letztere, die sich für ihren Glauben entschuldigen. Der Limburger Bischof will stärker Profil zeigen - beginnend in der Schule. „Muslimische Schüler erwarten von ihren christlichen Klassenkameraden inhaltliche Antworten und eine christliche Erkennbarkeit.“

Reich und unfrei?

Die Politik ist bei der Krisenbewältigung wenig hilfreich. Auch bevorzugen viele unter der „C“-Flagge segelnde Politiker im Zweifelsfall die Phrase, die auf politisch korrekte Vermittelbarkeit zielt. Wenn heute einer von der „Bewahrung der Schöpfung“ spricht, wird er ausgelacht oder als Ökospinner abserviert. Dabei wäre genau diese Widerständigkeit notwendig. Im Aufruf des Konzils heißt es, die Gläubigen sollten die „Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums“ verstehen. Heißt übersetzt: kritische Zeitgenossenschaft, Mut zu deutlichen Worten.

Die Laien spielen das Spiel nach ihren Regeln. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken etwa, ein Zusammenschluss von mehreren kirchlichen Vereinen, spricht gewöhnlich im Gestus höchster Autorität, obwohl es nicht legitimiert ist, „die“ Katholiken zu repräsentieren. So hat sich der ZdK-Präsident Alois Glück (CSU) jüngst für eine Lockerung des Zölibats starkgemacht. Das missfällt dem Limburger Bischof: „Die Aufgabe des ZdK besteht nicht darin, über Fragen der Lehre des Glaubens oder der Struktur der Kirche zu befinden. Es ist für die Erneuerung der Kirche nicht gut, wenn führende Persönlichkeiten und Gremien den Eindruck hinterlassen, das ZdK sei eine interne Gegenöffentlichkeit zur verfassten Kirche.“

Womöglich müsste man über den deutschen Staatskatholizismus, Kirchensteuern und politische Verflechtung nachdenken. Ein Korsett, das die Kirche reich und unfrei macht? Andrew Ngah staunt darüber, dass Priester und Bischöfe bezahlt werden. In Kamerun lebten sie von Spenden, die sie mit den Armen teilen.

Das institutionelle Dilemma bleibt bestehen

Wohin also führt der Weg? Priester in Soutanen, Rückkehr zu einer sakralen Urkirche? Mehr Rom, weniger Ortskirche? Noch mehr Sozialarbeit? Tebartz-van Elst sagt: „Die Zukunft der Kirche ist nicht nur hauptamtlich, sondern sie wird sich auf das, was am Anfang der Kirche war, stützen - auf sehr viel ehrenamtliches Engagement. Aber es wird ein Dienst sein, der eine intensive Förderung und Begleitung durch die Kirche braucht.“

In den Gotteshäusern sind viele Laien kaum noch zu vernehmen. Bei Taufen murmeln, beim Glaubensbekenntnis nuscheln sie. Andrew Ngah muss am Altar um deutlich vernehmbare Bekenntnisworte bitten. Er hat schon mehrmals Heiratswillige in die Nachschulung geschickt, wenn sich herausstellte, dass sie nicht einmal minimale Kenntnisse hatten. In Bad Ems hat er zwei Muslimen und einem Protestanten die Kommunion verweigert, die aus Spaß vor den Altar getreten waren. „Priester sind keine Maschinen, wir haben ein Gefühl für so etwas. Meine Ausbildung hat neun Jahre gedauert - ich spüre, ob einer katholisch ist.“ Ein Jahr nach dem Vorfall sind die beiden Männer und die Frau wieder bei Andrew Ngah vorstellig geworden - um sich von ihm taufen zu lassen.

Das institutionelle Dilemma bleibt bestehen: In einer Welt, in der man gefahrlos gegen alles sein kann, wirkt die Pflicht zum Gehorsam fremdartig. Sie passt nicht in eine Zeit, die bei aller Betonung der Individualität seltsam mutlos wirkt. Andrew Ngah hat eine Merkformel für das englische Wort „fear“: false evidence appearing real - falscher Augenschein, der wirklich erscheint. Die Bibel verzeichne nicht umsonst hundertfach den Aufruf „Fürchtet euch nicht!“. Für ihn lautet die wahre Evidenzformel deshalb: „Angst ist das Gegenteil von Glauben.“